Seribain - Das Geheimnis einer fremden Welt

© Ulrike Güthe-Wunderlich
© UGW

Leseprobe

(Mitte 3. Kapitel)

Nach zwei Tagen hatten sie das Sumpfland hinter sich gelassen, seither irrten sie durch eine Felsenwüste, in der es nichts lebendiges gab. Anfangs waren sie froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, aber langsam mußten sie sich eingestehen, daß ihre Lage eher noch schlechter geworden war. Unablässig wehte ein kalter Wind um die Felsen, die sich zu allen Seiten vor ihnen auftürmten. Sie hatten die ersten Ausläufer der Feuerberge erreicht, hinter denen die Wälder von Ballis begannen - ihr nächstes Ziel. Es war eine triste Vulkanlandschaft, wie sie auf dem Mond nicht schöner sein könnte. Sie ritten auf Bergrücken und Felsgrate und ritten wieder hinunter, aber niemals bot sich ihnen ein anderer Blick als der auf immer fernere Gebirge, hinter denen abermals Bergketten lagen - bis zum Horizont, nach allen Seiten.

Nebelschwaden wehten wie Rauchfahnen über die Lavawüsten mit ihren Felsbrocken, Schluchten und Schlackenfelder. Das Gestein war bedeckt mit verquollenem Gefilz aus Moos und Flechten, graugrün und blauschimmernd. Gelegentlich ragten hohe Lavaformationen aus dem Filz heraus, verwittert und graubehaart von Flechten.

Sie wählten den Weg respektvoll um einen rauchenden Vulkan herum und ritten leicht ansteigend über die Ausläufer eines langgestreckten Bergrückens.

Lavasand rieselte knirschend unter den Hufen und sog an ihnen wie der Sumpf vor zwei Tagen. Doch trotz allem kamen sie gut voran. Vor ihnen wölbte sich talwärts eine schier unabsehbare Wüstenei mit Hügeln und Steilabfällen aus Lavasand, zerklüftet von Feuerspalten und von Kratern durchlöchert, die schwefelgelb und rostrot gefärbt, wie aufgeplatzte Eiterbeulen auf pestschwarzer Haut wirkten. Dazwischen wälzten sich erstarrte Schlangenleiber aus Schlackenströmen, graubemoost und flechtenbewachsen. Überraschend brach die Sonne durch. Der Himmel, eben noch grau und düster, wurde blau. Trotzdem blieb die Landschaft ein Schattenreich, dumpf und glanzlos. Sie schlugen an diesem Tage ihr Nachtlager schon früh auf. Alle waren todmüde und es dauerte nicht lange, bis sie alle eingeschlafen waren. Heute hielt niemand Wache.

Es war Sarah, die als erstes erwachte. Sie wollte ihre neugewonnenen Freunde nicht wecken und so ging sie ein kleines Stück zu Fuß, um sich die Beine zu vertreten.

Ihr Blick wandte sich ab, wanderte über die dunkle Silhouette der Berge und blieb schließlich im dämmernden Himmel hängen. Die Sonne war als roter Ball am Horizont erschienen.

Plötzlich spürte sie eine gewaltige Furcht, sie wußte nicht warum, aber sie hatte das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Sie wollte sich umdrehen und zum Lager zurücklaufen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie starrte auf den Felshang, der einige hundert Meter vor ihr lag.

Und da sah sie es! Reflexartig sprang sie hinter eine hohe Formation aus Lavagestein und versteckte sich vor dem, was da lauerte.

Das Wesen wirkte wie die Ausgeburt der Hölle. Sie hatte von einem solchen Tier - wenn es überhaupt eines war - nicht einmal in Märchen und Horrorgeschichten etwas gehört, geschweige denn ein solches gesehen. Sie wußte, daß sie seinen Anblick niemals mehr vergessen würde - ihr Leben lang nicht.

Das Untier riß den Boden mit seinen fürchterlichen Krallen wie mit scharfen Dolchen auf! Sarah hielt den Atem an. Der Platz an dem sie sich befand, bot ihr nur spärlichen Schutz. Es schien sich nur noch um wenige Augenblicke zu handeln, bis das Wesen sie entdecken mußte. Ihr Herz klopfte schmerzend bis zum Hals und über ihren Rücken liefen abwechseln heiße und kalte Schauer, als ihr plötzlich bewußt wurde, daß sie sich in Lebensgefahr befand.

Das Ungeheuer war stehengeblieben und starrte mit blutroten Augen in ihre Richtung. Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn. Es schien nur noch sie und das Ungeheuer zu geben. Minutenlang verharrte das Monster regungslos, bis plötzlich eine schleimige, schwarze Zunge aus seinem Maul hervorschlug und ein kleines schuppiges Tier ergriff, das ein kurzes Stück vor ihm in einer Felsspalte gekauert hatte. In einem Bruchteil von einer Sekunde verschwand es in dem mit spitzen Zähnen besetzten Maul. Alles ging so schnell, daß das Tier nicht mal einen Laut von sich geben konnte. Plötzlich breitete das Monster seine pechschwarzen Flügel aus und erhob sich unendlich langsam in die Luft. Einen Augenblick kreiste es noch über der Stelle, wo es gesessen hatte, dann schwebte es gen Norden davon. Sarah hörte das mächtige Rauschen seiner Flügel. Sie wagte erst wieder aufzuatmen, als es totenstill geworden war. Nicht einmal Vögel sangen.

Dann kam wieder Leben in die junge Frau. Sie sprang auf und lief wie von Furien gehetzt zurück zu ihrem Lager. Ihre Freunde waren gerade aufgewacht, als sie schweißgebadet und wild keuchend auf ihre Knie fiel. Augenblicklich war Ranon an ihrer Seite. Auch die anderen waren aufgesprungen. Sarah war nicht fähig, zu sprechen. Tränen flossen über ihre Wangen und sie zitterte am ganzen Körper, die Augen angstvoll aufgerissen.

»Was ist geschehen?! Sarah! Sag etwas!« Ranon nahm sie an den Armen und schüttelte sie sanft. Aber Sarah war zu keinem Wort fähig. Allein bei dem Gedanken an dieses Ungeheuer hätte sie am liebsten geschrien, aber auch das gelang ihr nicht. Ihre Stimme versagte vollständig.

»Drachenlähmung, möchte ich meinen«, brummte Thorgan beunruhigt und blickte sich suchend um.

Ranon hielt Sarah fest im Arm, während Bornas einen Tee brachte, den er eben für das Frühstück aufgebrüht hatte. Ranon nahm ihm den Becher aus der Hand und führte ihn zu Sarahs Lippen. »Hier. Trink das, dann wird es dir gleich besser gehen.«

Mit zitternden Händen nahm Sarah den Becher und trank in kleinen Schlucken. Keiner sagte ein Wort, bis sie den Tee getrunken und sich etwas beruhigt hatte. Ängstlich blickte sie sich immer wieder um.

Ranon strich ihr vorsichtig eine Haarsträhne aus der Stirn. »Willst du uns nicht jetzt erzählen, was passiert ist?«, fragte er sanft und legte fest den Arm um sie.

»Es war ein gewaltiges Monster. Scharfe Krallen haben den Boden ... seine Zunge hat ... das Tier war ...« ihre Stimme brach, als sie in die fragenden Gesichter ihrer Zuhörer blickte. Sie atmete tief durch und begann von vorn. »Ich bin früher aufgestanden, weil ich nicht mehr schlafen konnte ... Ich bin nur ein kleines Stück dort entlang gegangen ...« sie zeigte mit ihrer Hand in die Richtung. »Dann bekam ich plötzlich Angst. Ich wollte zurück, aber ich konnte nicht, meine Beine gehorchten mir nicht. Und dann habe ich dieses Monster gesehen! Es war riesig, mit gewaltigen, pechschwarzen Flügeln. Es war völlig schwarz mit entsetzlichen Krallen und scharfen Zähnen. Es hat in meine Richtung gesehen. Seine Augen waren blutrot! Es hat ein eigenartiges Tier gefressen, dann ist es plötzlich fortgeflogen. Mein Gott! Ich hatte noch niemals in meinem Leben solche Angst. Ich hatte das Gefühl, den Teufel persönlich vor mir zu haben. Dieses Wesen war so ... so ... so schrecklich böse!«, erzählte sie schließlich stockend. Sie merkte, daß ihre Zuhörer blaß geworden waren, besonders Ranon.

»Was du gesehen hast, war ein Gmorrn. Ein Sucher Tarnas. Wir dürfen dich jetzt auf keinen Fall mehr aus den Augen lassen. Wenn er dich gesehen hätte, wäre alles verloren gewesen. Er hätte dich getötet«, erklärte Fistifil mit belegter Stimme.

»Wir müssen sofort weiter. In Ballis werden wir sicherer sein als hier«, meinte Bornas.

Ranon nickte. »Ja. Wir sollten sofort nach dem Frühstück aufbrechen.« Er half Sarah auf und begann schon einmal, ihre Sachen zusammen zu sammeln, während Christin und Bornas das Frühstück zurechtstellten.

Nachdem sie ihre Mägen gefüllt hatten, packten sie eilig die restlichen Sachen zusammen und machten sich wieder auf den Weg. Ranon hielt sich dicht bei Sarah. Sie hatte die ganze Zeit über kein Wort mehr von sich gegeben. Sie schien von dem Erlebnis noch stärker mitgenommen, als es zuerst den Anschein hatte. Mit Verzweiflung in den Augen und noch gezeichnet von der tödlichen Gefahr, der sie mit knapper Not entkommen war, blickte sie Ranon an. »Wir schaffen es nie«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Wir können genauso gut hier sterben.«

Ranon nahm ihre Hand in die seine. »Unsinn. Du hast einen Gmorrn gesehen. Der Anblick ist grauenerregend und furchteinflößend - sicher. Aber das ist in Seribain keineswegs ungewöhnlich. Du wirst diese Geschöpfe leider noch oft sehen. Sie beherrschen das Land und sind überall zu finden. Wir müssen nur dafür sorgen, das sie dich nicht sehen. Aber dafür sind wir ja da.« Er lächelte sie beruhigend an.

Sarah nickte. Sie würden ja Ballis bald erreichen. Dort sollten sie Proviant und ein Bett für einige Nächte finden. Vielleicht suchte Tarna dort noch nicht nach ihr. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Tarna wohl aussehen mochte, aber es gelang ihr nicht. Ein Wesen, das Monster wie Gmorrns und Gollons beherrschte ... Es war bestimmt besser, sich kein genaueres Bild von ihm zu machen - sie würde ihn bestimmt noch früh genug sehen, wenn es ihr Schicksal war, ihn zu vernichten. Tarna - schon der Name löste bei ihr eine Gänsehaut aus. Er stand anscheinend für alles Böse, das es in dieser Welt gab.

Die nächsten zwei Tage geschah nichts mehr. In der Ferne konnten sie nun schon die bewaldeten Hänge von Ballis erblicken. Morgen würden sie die Stadt erreichen.

Als sie an diesem Abend ihr Lager aufschlugen, waren sie alle gereizt und müde. Das Auftauchen des Gmorrns hatte jeden erschüttert, sogar den sonst so wortkargen Wareaner Thorgan.

»Ihr könnt mir ja erzählen, was ihr wollt, aber Tarna weiß, daß wir kommen, und er weiß auch welchen Weg wir genommen haben. Ich wette die ganze Stadt wimmelt von Gmorrns und den Gollons!«, knurrte er mürrisch.

Der Kater schärfte sich genüßlich die Krallen an einem alten Baumstamm. »Ich hoffe zwar, daß du Unrecht hast, aber wahrscheinlich weiß Tarna tatsächlich, daß wir auf dem Weg zu ihm sind«, bestätigte er. Er ließ den Baumstamm zurück und rollte sich neben Christin, die bei seinen Worten ziemlich blaß geworden war, am Feuer zusammen. Er schnurrte. »Erinnerst du dich, wie du mich bei Sarah immer hinter den Ohren gekrault hast?«, flüsterte er schnurrend.

Christin blickte ihn abschätzend an. »Da warst du auch noch eine gewöhnliche Katze und kein arroganter Norge«, flüsterte sie ebenso leise zurück.

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